Gestütztes Malen und FC

1993 war das Schlüsseljahr in meinem beruflichen Leben als Kunsterzieherin in einer Förderschule Geistige Entwicklung.
Ich hatte gerade meine Zusatzausbildung als Kunsttherapeutin abgeschlossen und meinen Titel als heilkundliche Psychotherapeutin erworben, da erlernte ich die Methode der Gestützten Kommunikation,
welche mir vollkommen neue Möglichkeiten des Austauschs mit den mir anvertrauten schwer kommunikationsbehinderten Schülern gab.

Die Gestützte Kommunikation (FC – facilitated communication) wurde Ende der 70er Jahre von Rosemary Crossley in Australien entwickelt und kam anfangs der 90er Jahre über die USA nach Deutschland.
Hier hat sie sich im Rahmen der Unterstützten Kommunikation (UK) mittlerweile etabliert und im gesamten deutschsprachigen Raum ausgebreitet.

Die Gestützte Kommunikation kann für einige kaum oder nicht sprechende Menschen, die sich bisher mit keiner anderen Methode differenziert verständlich machen konnten, neue Verständigungsmöglichkeiten bieten.

Bei FC bietet ein/e Stützer/in dem/der Nutzer/in bzw. Schreiber/in seine Stütze an.

Auf physischer Ebene bietet der Stützer der Hand, dem Handgelenk, dem Unterarm oder Oberarm des Nutzers beim Zeigen auf Bilder, Wörter oder beim Tippen auf Buchstaben auf einer Tastatur einen starken Gegendruck nach oben, einen Widerstand. Dadurch entsteht beim Nutzer der Impuls, diesen Widerstand zu überwinden. Neurologisch passiert dabei etwas, was dem Nutzer hilft, eine willkürliche motorische Bewegung auszuführen, und exakt einen gewünschten Buchstaben anzusteuern, anstatt, wie ungestützt meistens, unwillkürlich und ungezielt motorisch auszuagieren.


 

Auf psychischer Ebene wirkt Stütze durch die intensive emotionale Zuwendung.
Ich habe die Überzeugung und die Erfahrung, dass hinter fast jeder Behinderung ein reicher Sprachschatz im Inneren angelegt ist, der aber im verbalen Ausdruck behindert ist. Durch die Stütze kann dieser Sprachschatz in schriftsprachlicher Weise Ausdruck erfahren. Diese Überzeugung und Sicherheit strahle ich aus und gebe sie weiter. Dadurch fühlt sich mein Gegenüber gestärkt und erhält „emotionale Stütze“! Diese Wirkungsweise emotionaler Stütze kennt fast Jeder! Wer hat nicht in seinem Leben krisenhafte Zeiten zu bestehen gehabt und war dankbar für einen verständnisvollen Menschen an seiner Seite. Da hört man dann vielleicht:

„Dieser Freund war mir damals eine lebensnotwendige Stütze“!

Ich habe es bei dieser Interaktion als hilfreich erlebt, die Kommunikation gut zu strukturieren, langsam und deutlich zu sprechen, klare Aussagen zu treffen, ehrlich, offen und authentisch zu sein. Dann werde ich als Gegenüber ernst und wahrhaftig erlebt und angenommen.

Dank des Einsatzes von Fachleuten, Eltern, aber vor allem auch der FC-Nutzer wurde die Bedeutung dieser alternativen Kommunikationsmethode in die Öffentlichkeit getragen und ist weiterhin auf einem lebendigen Wege der Weiterentwicklung.

1994, als ich schon eine sichere Stützerin für viele FC-schreibende Anwender/innen geworden war, fing ich an darüber nachzudenken, ob die physische und psychische Stütze, auf der ja FC basiert, ebenso auf mein eigentliches Berufsfeld, die Kunsterziehung, zu übertragen sei. So begann ich, mit Stütze im Zeichnen zu experimentieren und konnte spürbar und sichtbar erleben, dass es sich tatsächlich so verhält, wie ich vermutet hatte.

So, wie ein reicher Sprachschatz in vielen Behinderten angelegt ist und sie ein differenziertes inneres Spracherleben haben, es aber aufgrund ihrer Behinderung am verbalen Ausdruck mangelt, ist ebenso ein Formgefühl und eine Bilderlandschaft im Inneren angelegt. Auch hier ist ein adäquater Ausdruck durch Zeichnen oder Malen oft nicht gegeben, weil die Willkürmotorik nicht verläßlich verfügbar ist. Meist wird nur ein ungeformtes Kritzeln oder Spuren auf dem Blatt sichtbar.

Anders als beim gesunden Kind wäre es hier jedoch absolut unangemessen, von dieser Kritzelspur auf das geistige Alter des Zeichners zu schließen.

Was geschieht nun beim Gestützten Malen?

Beim Gestützten Malen biete ich Widerstand, Stütze, bereits bei der Papierauswahl an, dann bei der Auswahl der Pinsel und der Farben und auch bei dem gesamten Malprozess.
Es ist hier allerdings ein hohes Maß an Achtsamkeit und Erfahrung notwendig, wirklich nur dem Bewegungsimpuls des Malenden stützend und dienend zu folgen und nichts eigenes hineinzubringen.
Dies alles geschieht in einem äußeren beschützenden Rahmen, der bei aller Möglichkeit des freien Umgangs mit Pinsel und Farbe eher von Ordnung und Struktur geprägt ist.

Diese verläßliche Struktur ist hilfreich und stützend für autistische Menschen, deren innere Welt oft von einem Chaos an Wahrnehmungen bzw. Wahrnehmungsverzerrungen bestimmt wird, das sie überflutet, ängstigt und quält. Die Arbeit mit den Farben wirkt oftmals beruhigend, zentrierend und sammelnd. Die Maler erleben sich als aktiv Handelnde und als Schöpfer eines eigenen Werkes. Dies Werk bleibt bestehen in seiner Kraft, konstant in seiner Wirkung über den Tag hinaus und macht im Laufe der Zeit als roten Faden einen Entwicklungsprozess sichtbar.
Die Stütze bietet hier Möglichkeit zu gestalterischem Ausdruck, wie er diesen Menschen sonst nicht erfahrbar wäre. Dies bedeutet ein nicht zu beschreibendes Gefühl der Zufriedenheit, des Glücks, der Selbstbestätigung und des Stolzes für die Maler/innen und ich bin froh, dass ich sie auf diesem schönen, oft auch schmerzhaften und anstrengenden Weg begleiten darf.


Der 17jährige T. drückte seine Gefühle folgendermaßen aus:
DANKBAR DENKE ICH AN DIE MEISTEN GEMEINSAMEN RUHIG UND GLÜCKLICH VERBRACHTEN MALSTUNDEN! EINE BILDERMEISTERSCHAFT IM HABENSRICHTIGEN SINN HABE ICH IN DEINEM MALERSTUEBCHEN ERLANGT, HEITER UND GIEBELHOCH RECKTE SICH MEINE MALERGROESSE! JA! JA! BEI DIR GAB ES IMMER MITTEILUNGEN, DIE ETWAS MIT DEUTLICHEM HUMOR ODER MIT INTERESSANTEN INHALTEN ZU TUN HATTEN! ICH DENKE, DASS ICH EINEN HEIMLICHEN INNEREN MEISTERHAFTEN GANZ GUTEN UNVERSEHRTEN LEBENSLUSTIGEN UND MUTIGEN KERN ENTDECKEN KONNTE HINTER MEINER BEHINDERUNG!

Mittlerweile haben viele autistische Menschen die Methode des Gestützten Malens praktizieren dürfen und eine neue, bisher nicht erlebte Ausdrucksweise erfahren.

Es haben sich auch eine große Zahl an Interessierten innerhalb von 2-tägigen Praxisworkshops die Vorgehensweise beim gestützten Malen bei mir angeeignet und mir gutes Feedback über später vertiefte eigene Erfahrungen gegeben.

Die Filme WEG INS LICHT und KUNST HAT VIELE GESICHTER über mein Gestütztes Malen mit Autisten, die bereits auf mehreren deutschen Fernsehkanälen, darunter ZDF und 3sat zu sehen waren, zeigen eine Vielzahl der Bilder aus der Ausstellung MALEN IST HOFFNUNG mit den beeindruckenden Texten der Malerinnen und Maler, sowie den Ablauf von Gestütztem Malen mit mehreren verschiedenen Maler/innen. Auch diese Filme tragen dazu bei, in der Bevölkerung Verständnis für die geheimnisvolle Welt der Autisten zu wecken, wie die folgende Zuschrift zeigt:

Liebe Frau Lobisch,
Ich habe Sie auf dem FC-Seminar in München kennengelernt, wo ich eines Ihrer Bücher kaufte.
Zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass der Film „Weg ins Licht“ ganz wunderbar war.
Es wäre wünschenswert, wenn es noch mehr Menschen wie Sie gäbe, die diese Behinderten so gut verstehen und als ganze Person wahrnehmen.
Dieses Malen ist im Prinzip eine gesteigerte Ausdrucksform von FC.
Mein Sohn ist jetzt 18 und nichtsprechend, macht im Alltag FC mit seinen Lehrerinnen (leider nicht mit mir), und ich werde das Video mit der Sendung,
(die ich natürlich aufgenommen habe) einer Lehrerin weitergeben.
Vielleicht kann ja das gestützte Malen eines Tages genauso selbstverständlich werden wie FC in Daniels Schule (die Wetzlarer Friedrich-Fröbel Schule).
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und gutes Gelingen Ihrer so wichtigen und guten Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen,
R. V.

Mein Buch „Malen ist Hoffnung“ /edition bentheim mit sechs ausführlichen Fallbeispielen aus der Kunsttherapie mit nichtsprechenden autistischen Maler/innen ist Fachliteratur für Lehrer, Therapeuten und Eltern geworden. Leider ist dieses Buch in 2. Auflage vergriffen und kann nur noch über Fernleihe bei größeren Bibliotheken, Universitäten oder Autistenverbänden entliehen werden.
Mit etwas Glück kann man es online auf Gebrauchtbücherseiten finden.

Die großen Ausstellungen MALEN IST HOFFNUNG, die bereits in mehreren Orten mit Begeisterung aufgenommen wurden, sprechen mit den Bildern und Texten der Maler/innen den Besuchern direkt ins Herz und haben vielen Menschen zu einer neuen, offeneren Sichtweise auf autistische Menschen verholfen.

Meine Wertschätzung gilt den Maler/innen, die sich in ihrer Behinderung ehrlich und wahrhaftig zeigen und enorme Kraft aufbringen, um ihr schwieriges Leben mit großem Mut zu meistern.

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